Heute Abend im Kammermusiksaal des Palais Wittgenstein: Autor, Filmemacher und Heine-Preisträger Alexander Kluge im Interview mit einer Mitarbeiterin des Heinrich-Heine-Instituts. Eine Freundin hatte mich mit einem Gutschein für diese Veranstaltung überrascht, Herr Kluge war mir bis zu diesem Zeitpunkt völlig unbekannt. Ein bisschen Blind-Date – spannend, offen für Neues sein!
Die Einladung Kluges wurde anlässlich des 225-jährigen Geburtstags Heinrich (Harry) Heines sowie der 50. Vergabe des Heine-Preises ausgesprochen, erfuhr ich. Kluge feierte in diesem Jahr seinen 90. Geburtstag, Chapeau! Uns, eine Hand voll Publikum, wurde er digital zugeschaltet. Joscha Baltha, Mitglied des Düsseldorfer Schauspielhaus-Ensembles, rezitierte auf der Bühne ausgewählte Textpassagen aus Kluges gerade erschienenen beiden Essaybänden „Das Buch der Kommentare“ und „Zirkus / Kommentar“. Mit Baltha ist Kluge ganz intensiv verbunden, denn dieser hatte in einem seiner Filme bereits eine Hauptrolle gespielt.
![Alexander Kluge zu Gast im Palais Wittgenstein, Düsseldorf; Im Vordergrund ist ein Gutschein über zwei Eintrittskarten zu sehen.](https://gretarosa.de/wp-content/uploads/2022/06/PW_Alexander_Kluge.jpeg)
Zwischen dem Rezitieren der Textpassagen wurden kleine Filme von Kluge eingeblendet. Sie sollten die für seine Werke bedeutenden Motive mit Symbolcharakter verdeutlichen, wie ich erfuhr. Beispielsweise Zirkus, Maulwurf und Hase.
Der Zirkus
Eine Zauberwelt, die Kluge verzückt habe. Im Zirkus zeige sich das Gefühl der Arroganz und Allmacht des Menschen. Der Mensch präsentierte sich als Herr über die Tiere. So könne der Dompteur unbeschadet seinen Kopf in den Rachen des Löwen stecken. Die Artisten tanzten auf dem Drahtseil, lebten ebenso mit der Gefahr, jederzeit auf den Boden zu fallen. Beide, Dompteur und Artisten, wären Metaphern für Protestbewegungen und Allmachtsphantasien.
Der Maulwurf
Er habe besonders starken Symbolcharakter. Der Maulwurf sei das Wappentier der Aufklärung und der Revolution. Dieses Lebewesen untertunnele seine Umgebung und tauche ab und zu auf. Kluge vergleicht Marx mit dem Maulwurf, der im übertragenen Sinne ebenso Tunnel baue. Und die Hände des Maulwurfs sähen schließlich ähnlich aus wie Menschenhände, wenn auch wie tote.
Der Hase
Kluge sagte, er schwärme für bewaffnete Hasen. Sie entsprächen nicht den Konventionen, die sie als ängstlich einstufen. Für ihn seien Hasen schlau, verteidigten das, was ihnen lieb und teuer sei und unterwanderten die herrschenden Strukturen.
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ (Theodor Adorno)
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen Hasen“ (Alexander Kluge)
Laut Kluge steht die Identität im Vordergrund. Er zog Parallelen zu Odysseus, der bei seiner Heimkehr nach der Odyssee seiner Frau mit dem besonderen Wissen über das Ehebett seine Identität hätte beweisen müssen.
Sehr amüsant: Kluge bewies neben seiner philosophischen Betrachtungsweise der Dinge auch großen Humor, herrlich! Das zeigte sich im Gedankenspiel eines sogenannten „unbekannten Anhängers“ von Jürgen Habermas vor einem Telefonat mit eben diesem. Die Phantasie des Anrufers gipfelt in dem Moment, in dem Habermas tatsächlich und endlich das Gespräch entgegennimmt und der Anrufer sofort verängstigt wieder auflegt. Großartig humorvoll vorgetragen wurde diese Textstelle von Joscha Baltha und auch Kluge zeigte sich köstlich amüsiert.
Sehr nahbar machten ihn einige amüsante Einlagen, die sicher dem hybriden Konzept geschuldet waren: Während eines Rezitativs durch Baltha ging er ans Telefon und begann die Kommunikation mit „Schatz…“. Sicher in der Annahme, er wäre stumm geschaltet gewesen. Nicht nur der Vorlesende Baltha konnte das Schmunzeln nicht verbergen. Oder hatte dieser Verlauf vielmehr mit der Gelassenheit eines 90-jährigen zu tun? Beneidenswert!
Kluge brachte immer wieder seine Begeisterung von Heinrich Heine zum Ausdruck: Heine habe den Mut des Erkennens und des Machens. Immer wieder bezog er in seine Erläuterungen und Theorien Zitate von Heine mit ein.
„Über uns stehen die Sterne groß und klug“
Heinrich Heine
Auf die an ihn gerichtete Frage, wie Heine heute wohl auf die Welt blicken würde und gab sogleich die Antwort: Heine würde sicher faszinierend finden, in welcher Form wir heute kommunizieren – über das Internet. Er würde einen Algorithmus in verträglicher Form anstreben, der die Weite des Internets mit der Konzentration in Einklang brächte, einen poetischen Algorithmus. Denn poetisch wäre der Google-Algorithmus ganz und gar nicht. Heine würde sicher immer das Neue akzeptieren, aber sogleich darüber nachdenken, ob dem Neuen nicht etwas fehlt. In diese Lücke würde er dann etwas „hinein zaubern“.
Mein Fazit: Ein sehr erquickenden Abend in exklusivem elitärem Rahmen. Nicht zuletzt aufgrund der spärlichen Besucherzahl (eine Hand voll). Sehr beeindruckt hat mich Kluges Präsenz bei der Beantwortung der Fragen und seine geistreichen Erläuterungen, auch wenn er sehr poetisch, metaphorisch und elaboriert unterwegs ist. Ich konnte ihm daher leider oft nicht folgen, was ich nicht IHM zum Vorwurf machen möchte! Die im Programm angekündigte Buchvorstellung ist bei mir nicht so recht angekommen. Aber vielleicht sehe ich hier zu sehr durch meine Marketing-Brille. Vielmehr habe ich einiges über Alexander Kluge und seine Denkansätze mitnehmen können, die mir bis dato unbekannt waren. Diese Veranstaltung ist Teil der Düsseldorfer Literaturtage. Und ich kann nur sagen: mehr davon!
Liebe Grüße!
Eure Greta Rosa